Hinter Jeder Naht steht eine Hand

TrueCost1

Die HSG Mannheim arbeitet zur Kleidungsproduktion in Niedriglohnländern

   Anmerkung: Dieser Artikel wurde von Theresa Poralla für die Amnesty Youth News geschrieben.

Infostand der HSG in der Mensa der Uni Mannheim zur Bewerbung von Filmscreening und Vortrag

Während die Massentierhaltung, die zu billigem Fleisch in deutschen Discountern führt, in den letzten Jahren endlich mehr Aufmerksamkeit erfährt, ist eine andere Facette des westeuropäischen Konsums und dessen globalen Auswirkungen noch immer beschämend unterbelichtet. Beschämend deshalb, weil es bei diesem Thema um Menschen geht, vor allem um Frauen1, deren Menschenrechte in den Textilfabriken der Welt mit Füßen getreten werden. Die Amnesty HSG Mannheim hat sich im Rahmen ihrer Beschäftigung mit Menschenrechten in wirtschaftlichen Kontexten vorgenommen, Aufmerksamkeit für dieses Thema zu schaffen. Wir sprechen nicht von einem kleinen Problem: es wird angenommen, dass einer von sechs lebenden Menschen auf der Welt heute in einem Teil der globalen Modeindustrie arbeitet. Allein 40 Millionen Menschen arbeiten als NäherInnen in Billiglohnländern – nähen ist immer Handarbeit. Hinter jeder Naht steht eine Hand, die sie produziert hat. Wir dürfen nicht wegschauen, sondern müssen uns fragen: wie wurde die Person entlohnt und behandelt, zu der diese Hand gehört? Die Antwort auf diese Frage versucht die HSG Mannheim am 12.03.19 mit einem Filmscreening von Michael Ross’ Film „The True Cost“ zu finden. Um nicht nur für das Problem zu sensibilisieren, sondern auch Lösungsansätze aufzuzeigen, erfolgt die Rahmung durch einen Vortrag von Isabelle Kempf, der Inhaberin des Fair Fashion Shops „umgekrempelt“ in Mannheim.

Die Antwort auf die oben gestellte Frage ist wenig überraschend, aber darum nicht weniger bestürzend, was im Verlauf der Filmvorführung klar wird: nur 0,6% – 1%2 der Kosten eines T-Shirts erhalten die NäherInnen, die oft eine ganze Familie zu versorgen haben. Sie bekommen für 10-12 Stunden Arbeit am Tag und verpflichtende, unbezahlte Überstunden je nach Land einen Monatslohn von 30-60$ – davon kann auch in Bangladesch oder Kambodscha niemand menschenwürdig leben. Neben den erdrückenden ökonomischen Bedingungen im Alltag der ArbeiterInnen, führt der permanent von westeuropäischen und amerikanischen Firmen ausgeübte Preisdruck dazu, dass die Sicherheitsbestimmungen in den Produktionshallen vor Ort vernachlässigt werden, um immer günstiger produzieren zu können. Eine traurige Gewissheit diese Vorgänge bietet der Einsturz des achtstöckigen Rana-Plaza-Gebäudes in Bangladesch 2013, bei dem 1135 Menschen getötet und 2438 verletzt wurden. Von einem ‚Unglück‘ zu sprechen ist unmöglich, auch das Wort ‚Fahrlässigkeit‘ bleibt einem im Halse stecken, wenn man hört, dass die ArbeiterInnen in der Fabrik das Management auf die Risse in der Wand wiederholt aufmerksam gemacht hatten und am Tag des Unglücks trotz polizeilichen Verbots zu Arbeit gezwungen worden waren. Die anderen Abschnitte der globalen Lieferkette sind nicht weniger problematisch. ProduzentInnen von Baumwolle können von dem Anbau kaum noch leben, sind hoch verschuldet, und die verwendeten Pestizide führen zu einer massiven Umweltverschmutzung, die die Gesundheit aller Ortsansässigen (beispielsweise in der Punjab-Region) bedroht. Die Modeindustrie ist die Industrie, die die Umwelt am zweitstärksten weltweit verschmutzt, gleich nach der Ölindustrie. Das angesichts dieses Leids zynische Argument, die Produktionsbedingungen und Lohnniveaus würden sich über Zeit automatisch anheben, ist aufgrund der schwachen Verhandlungsposition der Produktionsländer, die zudem immer wieder gegeneinander ausgespielt werden, eine Illusion. Auch werden selbstständige Kämpfe der ArbeiterInnen um menschenwürdige Arbeits- und Lebensbedingungen unterdrückt. So wurden 2014 in Phnom Penh (Kambodscha) bei Demonstrationen für einen menschenwürdigen Mindestlohn drei Menschen von der Militärpolizei erschossen, zahlreiche weitere wurden verletzt. Gewerkschaftsaktivitäten mit Werkschließungen zu quittieren ist eine gängige Methode des Managements AktivistInnen von anderen, dringend auf ihren Lohn angewiesenen ArbeiterInnen, gewaltsam ‚zur Vernunft‘ bringen zu lassen. Dieses Unrecht sieht man dem neu gekauften T-Shirt eines Standardlabels nicht an. Aber es existiert und es wird von unserem Konsum verursacht. Der Preis eines Kleidungsstückes ist dabei kein Indikator für den Lohn von ArbeiterInnen. Auch teure Kleidungsstücke werden oft unter ausbeuterischen Bedingungen produziert, jede Standardmarke, die keine Transparenz über ihre Produktionsbedingungen schafft, ist problematisch. Oft haben die Firmen sich wunderschöne ‚Voluntary Codes of Conduct‘ gegeben – Barbara Briggs, Vorsitzende des Institute for Labour Rights, sagt über diese im Film: „Sie sind das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben sind“. Bevor die westlichen Firmen nicht gesetzlich verpflichtet werden, Verantwortung für jeden Zulieferer in ihrer Lieferkette zu übernehmen, werden sie weiterhin so billig wie möglich produzieren – egal wo, egal wie. Im Februar dieses Jahres hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung nun einen Gesetzentwurf zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht für Unternehmen vorgelegt, der internationale Großkonzerne zwingen soll, die Produktionsweisen ihrer Zulieferer zu prüfen. Es gilt, die Entwicklung dieser Initiative im Auge zu behalten und sich klar für eine Durchsetzung des Entwurfes zu positionieren. Das ist etwas Wichtiges, was wir alle tun können. Und natürlich müssen wir unseren Kleiderkauf bewusster gestalten, es führt kein

Einleitende Worte unseres Finanzvorstands Fabian vor Film und Vortrag

Weg daran vorbei. Die Wirkrichtung des Konsumverhaltens mag wie die langsamste und leiseste erscheinen – es ist jedoch gleichzeitig auch die nachhaltigste und im Endeffekt wirksamste. Isabelle Kempf lädt uns an diesem Abend dazu ein, darüber nachzudenken, wie viel Kleidung ein Mensch wirklich braucht. Aus dem Munde einer Einzelhändlerin möge das zwar komisch klingen, gibt sie zu, aber die bewusste Reflexion des eigenen Kaufverhaltens sei ein erster wichtiger Schritt. Weitere Ansätze sind Kleidertauschpartys, Second-Hand-Shopping, Upcycling und, auch für den studentischen Geldbeutel möglich, faire Mode. Erstens ist es wichtig, beim Kleidungskauf auf Label zu achten, von denen sich eine effiziente Übersicht unter www.ci-romero.de findet. Und es gibt bereits große Firmen, die fair produzieren und trotzdem ein T-Shirt für 15,14 Euro (Continental Clothing in Kooperation mit dem Fair Fashion Network) produzieren. Die 14 Cent Fairnesszuschlag und etwas Aufmerksamkeit beim Kleidungskauf – mehr braucht es nicht, um die ProduzentInnen unserer Kleidung in ihrem Kampf für einen gerechten Lohn und ein menschenwürdiges Leben zu unterstützen.

Kommentar: Alle Informationen stammen, soweit nicht anders ausgewiesen, aus den Recherchen des True-Cost-Teams oder aus dem Vortrag von Isabelle Kempf. Für mehr Informationen: https://truecostmovie.com/ & https://www.umgekrempelt-mannheim.de/

Theresa Poralla

1 Um die 85% der Beschäftigten in Textilfabriken sind Frauen. Viele lassen ihre Kinder bei Verwandten oder Bekannten zurück und sehen sie nur wenige Male im Jahr, um in den Großstädten zu arbeiten, wo sie ihre Kinder nicht betreuen oder versorgen könnten.

2 https://www.fairfashionguide.de/index.php/infoboxen/item/23-was-kostet-mein-t-shirt